Ich wollte schon seit einigen Wochen mal etwas zu meinem "digitalen Workflow" schreiben. Getan hab ich dies auch, jedoch in Form kleiner, persönlicher Notizen in denen ich mich mit mir über Vor- und Nachteile bestimmter Arbeitsweisen gestritten hab. Weitere Gesprächsteilnehmer waren einige Blogs, denen ich sehr dankbar bin, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen.
Wie dem auch sei, der Staub hat sich gesetzt und ich hab ein klareres Bild dessen, was ich mache. Dennoch ist alles hier hoch experimentell und ständiger Veränderung ausgeliefert. Daher auch der Titel. Der hier beschriebene Workflow ist ein idealisierter. Ein weiteres Caveat: Es geht hier um meinen digitalen Workflow und dementsprechend ist hier auch alles auf digitale Medien ausgerichtet, sprich ebooks und PDFs. Abgesehen davon, dass Arbeit mit digitalen Medien anders verläuft als mit analogen (so bringen digitale Bücher viele nützliche Features, wie z.B. Volltext Suche mit sich), eignet sich nach meinen Erfahrungen nicht jedes Buch zur digitalen Verarbeitung. Heideggers "Sein & Zeit" als eBook zu lesen wäre irgendwie ironisch. Zum anderen wäre es nicht praktikabel.
Zum Material: Ein Buch, in digitaler Form. Zotero. Libre Office. Zettelkasten. Lesegerät
[1] In Zotero wird ein Eintrag für das Buch erstellt, der alle relevanten bibliographischen Daten erhält. Dank Zotfile kann ich direkt mein eBook in diesem Eintrag verlinken und es automatisch anhand der Daten umbenennen und an einem Ort meiner Wahl speichern lassen. Ich hab hier einen mit Spideroak synchronisierten Ordner, in dem meine eBooks durch Zotfile landen. Hier gibt es für jeden Buchstaben einen Unterordner, und in diesem wiederum einen Unterordner mit dem Namen des jeweiligen Autors und in diesem befindet sich die eBook-Datei. Als Beispiel hier der Pfad zu dem kürzlich gelesenen Buch "Creepiness" von Adam Kotkso:
[...]/Zotero Library/K/Kotsko/Kotsko - 2015 - Creepiness.pdf
[2] Nachdem wir nun das Buch als Objekt einer bibliographischen Datenbank+Archiv gesehen haben, wenden wir uns diesem nun in einer anderen Form zu, nämlich dem Buch als Objekt eines Lesers. Praktisch laden wir das Buch auf ein Lesegerät unserer Wahl (z.B. ein Tablet in meinem Fall), und öffnen es in einer PDF-tauglichen App (in den meisten Fällen dürfte der Acrobat Reader hier wunderbar funktionieren. Ich hatte hier jedoch in letzter Zeit mit via Calibre von epub in pdf konvertierten eBooks einige kleine Probleme und musste auf Foxit ausweichen). Wichtig ist hier hauptsächlich, dass die App pdfs lesen und markieren kann und in der Lage ist, diese Markierungen in der pdf selbst zu speichern. Wir lesen also nun das Buch. Hierbei machen wir exzessiv von der Markierfunktion gebrauch und markieren wenn es uns nötig erscheint ganze Paragraphen. Ebenfalls hilfreich sind selbstgeschriebene Anmerkungen, die dann ebenfalls direkt in der Datei gespeichert werden. Wieso schreibe ich hier von exzessivem Markieren? Ist es nicht eher so, dass zu exzessives Markieren dem Verständnis eher unförderlich, dass es eher die Illusion von Verständnis erzeugt? Well yeah. Die Sache ist nur die, dass das Markieren hier auch nicht dem Verständnis dienen soll, sondern quasi wie ein Netz über relevanten Passagen ausgeworfen wird, aus denen in einem späteren Schritt dann Material zu filtern ist. Wie wir sehen werden, lesen wir markierte Passagen zweimal. In einem ersten Lesen identifizieren wir sie lediglich als relevant, in einem zweiten verarbeiten wir sie aktiv. Fassen wir kurz zusammen: Wir lesen und markieren dabei alle Stellen, die uns relevant erscheinen. Um Details kümmern wir uns hier erstmal noch nicht.
[3] Wir haben das Buch (oder evtl auch das Kapitel. Zumindest jedoch einen Text) gelesen und ausgiebig markiert. Wir sind nun entweder mit dem Text als Ganzem "fertig" oder haben das Gefühl, dass wir erst die bisherigen Abschnitte tiefer verarbeiten müssen, bevor wir uns weiter ins Innere des Buchs wagen. Wie dem auch sei. Die Datei mit den gespeicherten Markierungen wandert nun vom Tablet wieder zurück an den Ort, wo Zotero auf sie zugreifen kann (d.h. wir ersetzen die ältere Buchdatei an der in Schritt [1] beschriebenen Stelle durch die neuere Buchdatei). Wir öffnen Zotero und praktizieren Zauberei. Das Addon Zotfile ist in der Lage markierten Text aus einer pdf samt Seitenangabe mit einem einzigen Klick zu extrahieren. Wir klicken also und haben in Zotero eine neue Notiz, die sämtliche unserer markierten Textstellen enthält. Wir kopieren das gesamte und fügen es in einer neuen Libre Office Writer Datei ein.
[4] In Zotero exportieren wir unsere gesamte Bibliothek kurz ins Bibtex-Format und importieren das Resultat wiederum in das fantastische Programm namens "Zettelkasten". Unser gelesenes Buch enthält hier eine Nummer in Zettelkastens internem Quellenverzeichnis. In meinem Fall von Kotkos "Creepiness" wäre das die Nr. 168. Hiermit lassen sich im Zettelkasten tolle Sachen anstellen. Gebe ich z.B. "blabla" ([fn 168]:89) ein und speichere das ganze, erhalte ich einen Zettel mit dem Inhalt:
"blabla" (Kotsko 2015: 89)
Der Nutzen mag sich evtl. noch nicht ganz erschliessen, darum: Dank dem Verweis in der Form [fn XXX] wird der komplette Bibtex-Eintrag des Buchs mit der zitierten Passage verknüpft und die komplette bibliographische Angabe erscheint in der Fußnotenspalte des Zettels. Aber dazu später. Wir haben jetzt nachwievor eine lange Textdatei in Libre Office Writer, in der alle Textpassagen nicht mit unserem erwünschten Kürzel, sondern mit dem Kürzel (Autor Datum: Seite) enden. Was zwar einerseits schick ist (danke Zotfile), aber uns in diesem Kontext wenig weiterhilft. Mit dem Search+Replace Befehl (in komplizierten Ausnahmefällen unter Zuhilfenahme von RegEx) können wir aber alle diese Endungen in die von uns gewünschte Form bringen. Soweit die Formalia an dieser Stelle.
[5] Es kommt der eigentliche Hauptpart. Wir müssen unsere ganzen Textpassagen in Exzerpte verwandeln. Wie das geht dürfte ja jeder für sich selbst wissen. Wir fassen Gedankengänge zusammen, schnippseln zusammenhängende Textpassagen zueinander. Etc. pp.. Nehmen wir hier kurz den Fall an, dass ich furchtbar faul bin/keine allzugroße Zeit haben. Dann würde ich die zusammengehörenden Passagen einfach bloß untereinander zusammenstellen ohne sie detailiert in meinen eigenen Worten festzuhalten. Was ich aber dennoch tue ist dem ganzen einen treffenden Titel zu geben. Im Beispiel hätte ich hier mehrere kurze Zitate/Textpassagen, die ich unter dem Titel "Die perverse Form von Creepiness am Beispiel von Terrence Malicks Spring Breakers" (oder sowas in der Richtung) zusammenfasse. So arbeite ich die gesamte Textsammlung durch, verpasse jedes mit einem deskriptiven Titel + optionalem eigenen Kommentar und trenne die so entstehenden Sinneinheiten mit horizontalen Balken voneinander ab (Ein Trick den ich durch Zufall gelernt habe. Drei Gleichheitszeichen hintereinander gefolgt von Druck auf die Taste Enter kreiiren einen solchen Balken). Als nächsten Schritt würde ich jedem deskriptiven Titel ein Kürzel vorhängen, dass seine Position im Buch näher definiert. So wird aus "Die perverse Form von Creepiness am Beispiel von Terrence Malicks Spring Breakers" ein "Kotsko (2009). Ch. 3. (II): Die perverse Form von Creepiness am Beispiel von Terrence Malicks Spring Breakers". Ich habe also den Autoren + Datum des Buchs im Titel, gefolgt vom Kapitel, aus dem das Material stammt. Die römische Ziffer in den Klammern zeigt mir an, welche Position der werdende Zettel in meinen gesamten Notizen zu diesem Kapitel einnimt. Es folgen Doppelpunkt und der zusammenfassende, eigentliche Titel. Das ganze erlaubt mir, auch nach dem Auseinanderschneiden des Texts in einzelne Sinneinheiten die gesamte Struktur des Buchs in einer linearen Form darzustellen. Das wird später relevant.
[6] Die einzelnen Sinneinheiten aus Libre Office Writer werden nun in jeweils eigene Zettel im Zettelkasten gepastet. Das ist eine eher stupide Klickarbeit und sollte in einem Rutsch erledigt werden, bevor man sich mit den Details der weiteren Verzettelung (Verschlagwortung etc.) auseinandersetzt (es empfiehlt sich einen leeren ersten Zettel zu erstellen, der bereits das grobe Titelgerüst (Autor, Datum, Links zum Index-Zettel (dazu später)) enthält und diesen mehrfach zu duplizieren und dann mit dem Inhalt zu füllen).
[7] Wir haben nun einen Haufen roher Zettel. Sie haben Content, aber stehen in noch keiner Beziehung zu einander. Also bearbeiten wir die soeben erstellten Zettel nun erneut und versehen jedes mit passenden Schlagworten. Das erlaubt uns später auf einfachere Weise Verknüpfungen zu weiteren Zetteln zu erstellen, Zettel zu bestimmten Themenkomplexen zu finden usw.. Sky is the limit.
[8] In einem letzten Schritt wenden wir uns dem Index-Zettel zu. Dieser wird für jedes Buch einzeln erstellt und enthält nichts außer dem Inhaltsverzeichnis des Buchs sowie chronologisch angeordnete Links zu allen zu diesem Buch kreierten Zetteln. Somit haben wir eine komplette Übersicht über die Struktur des Buchs, können gezielt in bestimmte Stellen einsteigen usw.. Am wichtigsten ist, dass wir hier beides haben können: Die Zerschneidung des Buchs in einzelne Sinneinheiten, die ein Netzwerk mit den Sinneinheiten anderer Texte bilden können, sowie die Erhaltung des Buchs in seiner linearen, chronologischen Form. So kann ich jetzt also beispielsweise bei Bedarf alle meine Zettel zum Thema "Psychopathologie im Spätkapitalismus" herausfiltern und z.B. in ein HTML-Datei exportieren, ich kann aber auch alle meine Zettel zu Giorgio Agambens "Profanierungen" ausspucken lassen. Beides ist möglich.
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