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12.12.2014

Notizen zu: Giorgio Agamben - Die kommende Gemeinschaft. Kapitel II: Ethik

[0] Agambens allgemeines Ziel in diesem Text (Die kommende Gemeinschaft) ist es, einen bestimmten Begriff der Gemeinschaft zu denken, eine Gemeinschaft, der ein Zugehörigkeitskriterium im eigentlichen Sinne fehlt und die daher nicht die Gewalt des Ausschlusses anwenden kann. Der Kontext der diese Untersuchung motiviert ist die Erfahrung der beiden Totalitarismen des 20sten Jahrhunderts.

[1] Agamben nimmt von Aristoteles her, dass dem Menschen eine bestimmte Berufung fehle. Der Mensch ist in seinem Wesen unbestimmt, hat kein historisches Ziel, dass er erfüllen müsste.

[2] Für Agamben ist dies der Ausgangspunkt, der Ethik überhaupt erst möglich macht. Hätte der Mensch ein bestimmtes Wesen, wäre er verpflichtet, dieses zu realisieren. Keine Ethik wäre möglich, nur das Erfüllen einer Pflicht. Wer sich dieser Aufgabe widersetzt oder unfähig ist diese zu Erfüllen, wäre der Gefahr ausgesetzt, aus der "wahrhaft" menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen zu werden. Dies heißt auch, dass bei Agaben nicht nur der Mensch, sondern auch die (kommende) Gemeinschaft kein telos hat.

[3] Gänzlich unbestimmt ist der Mensch bei Agamben nicht. Allerdings ist Agambens Bestimmung inhaltsleer, offen. Er versteht den Menschen als reine Potentialität, als reine Möglichkeit. Der Mensch ist nicht dahingehend bestimmt, dasss er nichts ist (Nihilismus), sondern dahingehend, dass er so oder so sein (oder nicht sein) kann. Diese offene Bestimmung erlaubt es Agamben einer Festsetzung irgendeiner spezifischen menschlichen Essenz zu widerstehen und gleichzeitig nicht in einen willkürlichen Nihilismus zu verfallen. Somit wird hier eine Ethik möglich.

[4] Insofern der Mensch nur seine eigene Möglichkeit ist, hat er kein Wesen. Es mangelt ihm also an einer positiven Bestimmung. Diesen Mangel empfindet der Mensch als eine Schuld (in dem Sinne, dass er eine Bestimmung schuldig bleibt). Die christliche Theologie fasst diese Schuld als Ursünde auf.

[5] Die Moral würde diese Schuld mit Bezug auf die Vergangenheit verstehen: Der Mensch hat etwas getan (Sündenfall) und tragt deshalb seine Schuld mit sich. Er hat sich also (in der Vergangenheit) etwas zu schulden kommen lassen. Diese Bedeutungsdimension der Schuld ist laut Agamben in der ursprünglichen Doktrin der Ursünde nicht enthalten. Hier ist der Mensch einzig durch seinen Mangel schuldig, ohne diesen verschuldet zu haben. Die Ethik hat für Agamben nur einen Zukunfts-, keinen Vergangenheitsbezug. Der Mensch soll mit seiner eigenen Möglichkeit leben und sich diesen Mangel seiner Unbestimmtheit aneignen, so Paradox es auch klingt, sich einen Mangel anzueignen. Man könnte der Mensch solle Verantwortung dafür übernehmen, dass er die Möglichkeit zu sein (oder nicht zu sein) hat.

[6] Das Böse, laut Agamben, besteht letztendlich darin, die Möglichkeit in eine Unmöglichkeit zu verwandeln, oder die Möglichkeit in eine bestimmte Aktualität festzusetzen. Mit anderen Worten, Böse ist, bestimmte Seinsmöglichkeiten unmöglich zu machen (z.B. durch die Verfolgung von Menschen, die eine bestimmte Lebensform ausüben), oder alle Seinsmöglichkeiten außer einer zu verhindern und diese somit zu essentialisieren (z.B. den Typus des blonden, blauäugigen Deutschen als die Essenz des Menschseins auszurufen). Eine weitere Form des Bösen wäre der Nihilismus, der die Schuldigkeit des Menschen als ein Verschulden versteht, dass es um jeden Preis zu verhindern gelte, also eine Art praktizierte Lebensfeindlichkeit.

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